
09 Mai Discurso de agradecimiento por la Goethe-Medaille 2024 (en alemán)
Liebe Frau Lentz, liebe Olga Grjasnowa, liebe Pia Entenmann, liebe Martina
Bartel, lieber Willy Schumann, sehr geehrte Jurymitglieder:
Liebe Freunde und Freundinnen:
Sehr geehrte Damen und Herren:
Meine Lebensgeschichte und meine Beziehung zu Deutschland haben mit
einem historischen Ereignis zu tun, das sich in einem Hotel am Rhein ― in
Bad Godesberg bei Bonn ― abgespielt hat. 1942 wurden dort mein
mexikanischer Großonkel und seine Frau, eine ungarische Jüdin, zusammen
mit mehr als 100 lateinamerikanischen Diplomaten für über ein Jahr von den
Nationalsozialisten gefangen gehalten. Unter ihnen befand sich auch Gilberto
Bosques, der damalige mexikanische Konsul, der in Marseille so vielen
spanischen Republikanern und deutschen Juden und Kommunisten das Leben
gerettet hatte. Das nur wenige Kilometer von Weimar entfernte
Konzentrationslager Buchenwald erinnert uns an das Schicksal, das sie
erwartet hätte.
„Transit“ nannte Anna Seghers ihren Roman, in dem sie so plastisch die
dramatischen Umstände beschreibt, unter denen Bosques in Marseille vielen
Menschen im letzten Moment zu einer Schiffspassage nach Mexiko verhelfen
konnte – ich hatte das große Privileg, diesen Roman vor kurzem neu zu
übersetzen, was mir auch das Schicksal meiner beiden Verwandten nochmals
ganz anders nahegebracht hat.
Denn auch ihnen hat Bosques damals das Leben gerettet. 1944 gingen beide,
zusammen mit anderen Gefangenen aus Bad Godesberg, nach Mexiko. Mein
Großonkel kehrte zurück in sein Land, zu seiner Familie und seiner Sprache.
Für meine Großtante bedeutete die Reise dagegen das Exil in einem fremden
Land, wo sie niemanden kannte und dessen Sprache sie nicht verstand.
Trotz der schmerzlichen Erfahrung, die sie in Deutschland gemacht hatten,
schickten beide Jahre später ihre einzige Tochter ausgerechnet auf die
Deutsche Schule in Mexiko-Stadt. Zum einen, weil mein Großonkel, ein
Philosoph, ein großer Verehrer der deutschen Kultur war („Die Nazis sind
nicht die Deutschen“, pflegte er zu sagen); zum anderen, weil meine
Großtante dadurch die Möglichkeit hatte, an ihre europäischen Wurzeln
anzuknüpfen und wieder Deutsch zu sprechen, das sie in ihrer Kindheit in
Österreich-Ungarn gelernt hatte.
Fast 20 Jahre später folgte ich den Fußstapfen meiner Tante: auch ich ging auf
die Deutsche Schule in Mexiko. Und tatsächlich hat das mein weiteres Leben
entscheidend geprägt. Durch die deutsche Sprache und Kultur bin ich zu der
Person geworden, die ich heute bin. Sie hat mir meinen Beruf geschenkt, und
viele liebe Menschen. Auch mein Mann, Komplize bei vielen
Übersetzungsprojekten, ist Deutscher. Ein Geschenk war ebenfalls die
konstante Auseinandersetzung mit zwei sehr unterschiedlichen Welten. Ich
konnte zu einer Brücke werden ― zwischen der Welt, die meine Großtante
verlassen musste, und derjenigen, in der sie nie richtig angekommen ist. Ich
dagegen fühle mich in beiden Welten zu Hause. Und versuche jeden Tag die
Entfernung zwischen Deutschland und Mexiko zu verringern und die
„Fremdheiten“ anzunähern.
Das mache ich nicht nur indem ich Bücher übersetze, sondern auch kulturelle
Zusammenhänge übersetze. „Über-Setzen“, das schöne, deutsche Wort für
„von einem Ufer zum anderen gelangen“: für mich bedeutet das seit knapp
30 Jahren den „Sprachozean“ zwischen Mexiko und Deutschland tagtäglich
mehrmals zu überqueren, mit jedem einzelnen der vielen, vielen Worte und
Gedanken, die ich von Deutschland nach Mexiko übersetze.
Daher möchte ich, in einer Zeit, wo die Spaltung zwischen Menschen,
Parteien, Ländern und Kulturen immer größer und die Sprache konstant
entwertet und missbraucht wird, an die Wichtigkeit der Sprache als eines
unserer kostbarsten Güter der Vermittlung und Versöhnung erinnern. Goethe
hat nicht umsonst der Sprache sein Leben verschrieben.
Herzlichen Dank an all die lieben Menschen, die mich heute hier begleiten.
Auch an die, die es nicht bis hierhin geschafft haben. Ohne euch alle hätte ich
es nicht so weit gebracht.
Ich danke dem Goethe-Institut für die große Ehre der Goethe-Medaille.