Discurso de agradecimiento por la Goethe-Medaille 2024 (en alemán)

Liebe Frau Lentz, liebe Olga Grjasnowa, liebe Pia Entenmann, liebe Martina Bartel, lieber Willy Schumann, sehr geehrte Jurymitglieder: 

Liebe Freunde und Freundinnen: 

Sehr geehrte Damen und Herren: 

Meine Lebensgeschichte und meine Beziehung zu Deutschland haben mit einem historischen Ereignis zu tun, das sich in einem Hotel am Rhein ― in Bad Godesberg bei Bonn ― abgespielt hat. 1942 wurden dort mein mexikanischer Großonkel und seine Frau, eine ungarische Jüdin, zusammen mit mehr als 100 lateinamerikanischen Diplomaten für über ein Jahr von den Nationalsozialisten gefangen gehalten. Unter ihnen befand sich auch Gilberto Bosques, der damalige mexikanische Konsul, der in Marseille so vielen spanischen Republikanern und deutschen Juden und Kommunisten das Leben gerettet hatte. Das nur wenige Kilometer von Weimar entfernte Konzentrationslager Buchenwald erinnert uns an das Schicksal, das sie erwartet hätte. 

„Transit“ nannte Anna Seghers ihren Roman, in dem sie so plastisch die dramatischen Umstände beschreibt, unter denen Bosques in Marseille vielen Menschen im letzten Moment zu einer Schiffspassage nach Mexiko verhelfen konnte – ich hatte das große Privileg, diesen Roman vor kurzem neu zu übersetzen, was mir auch das Schicksal meiner beiden Verwandten nochmals ganz anders nahegebracht hat. 

Denn auch ihnen hat Bosques damals das Leben gerettet. 1944 gingen beide, zusammen mit anderen Gefangenen aus Bad Godesberg, nach Mexiko. Mein Großonkel kehrte zurück in sein Land, zu seiner Familie und seiner Sprache. Für meine Großtante bedeutete die Reise dagegen das Exil in einem fremden Land, wo sie niemanden kannte und dessen Sprache sie nicht verstand. 

Trotz der schmerzlichen Erfahrung, die sie in Deutschland gemacht hatten, schickten beide Jahre später ihre einzige Tochter ausgerechnet auf die Deutsche Schule in Mexiko-Stadt. Zum einen, weil mein Großonkel, ein Philosoph, ein großer Verehrer der deutschen Kultur war („Die Nazis sind nicht die Deutschen“, pflegte er zu sagen); zum anderen, weil meine Großtante dadurch die Möglichkeit hatte, an ihre europäischen Wurzeln anzuknüpfen und wieder Deutsch zu sprechen, das sie in ihrer Kindheit in Österreich-Ungarn gelernt hatte. 

Fast 20 Jahre später folgte ich den Fußstapfen meiner Tante: auch ich ging auf die Deutsche Schule in Mexiko. Und tatsächlich hat das mein weiteres Leben entscheidend geprägt. Durch die deutsche Sprache und Kultur bin ich zu der Person geworden, die ich heute bin. Sie hat mir meinen Beruf geschenkt, und viele liebe Menschen. Auch mein Mann, Komplize bei vielen Übersetzungsprojekten, ist Deutscher. Ein Geschenk war ebenfalls die konstante Auseinandersetzung mit zwei sehr unterschiedlichen Welten. Ich konnte zu einer Brücke werden ― zwischen der Welt, die meine Großtante verlassen musste, und derjenigen, in der sie nie richtig angekommen ist. Ich dagegen fühle mich in beiden Welten zu Hause. Und versuche jeden Tag die 

Entfernung zwischen Deutschland und Mexiko zu verringern und die „Fremdheiten“ anzunähern. 

Das mache ich nicht nur indem ich Bücher übersetze, sondern auch kulturelle Zusammenhänge übersetze. „Über-Setzen“, das schöne, deutsche Wort für „von einem Ufer zum anderen gelangen“: für mich bedeutet das seit knapp 30 Jahren den „Sprachozean“ zwischen Mexiko und Deutschland tagtäglich mehrmals zu überqueren, mit jedem einzelnen der vielen, vielen Worte und Gedanken, die ich von Deutschland nach Mexiko übersetze. 

Daher möchte ich, in einer Zeit, wo die Spaltung zwischen Menschen, Parteien, Ländern und Kulturen immer größer und die Sprache konstant entwertet und missbraucht wird, an die Wichtigkeit der Sprache als eines unserer kostbarsten Güter der Vermittlung und Versöhnung erinnern. Goethe hat nicht umsonst der Sprache sein Leben verschrieben. 

Herzlichen Dank an all die lieben Menschen, die mich heute hier begleiten. Auch an die, die es nicht bis hierhin geschafft haben. Ohne euch alle hätte ich es nicht so weit gebracht. 

Ich danke dem Goethe-Institut für die große Ehre der Goethe-Medaille.